Das Mysterium der Weihe
Erzpriester Sergius Heitz
Inbezug auf den Weiheritus ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der Chirothesie, d. h. der Weihe durch Handauflegung zum Lektor (Kantor, Akolyth) und Hypodiakon (Subdiakon) einerseits und der Chirotonie andererseits, d. h. der Weihe durch Handauflegung zum Diakon, Priester und Bischof. Während die Chirothesie den zu Weihenden zwar zum Kleriker qualifiziert, aber nicht aus dem Laienstand heraushebt, gibt die Chirotonie Anteil am durch die Apostolische Sukzession und die Apostolische Tradition übermittelten dreifachen Amt Christi .
Die Weihe zum Lektor und Hypodiakon besteht nach griechischem Brauch je in einem Weihegebet des Bischofs unter Handauflegung. Bei den Slawen ist die Weihe zum Lektor in doppelter Hinsicht durch Erweiterungen gekennzeichnet: einerseits durch einen Ritus des Haarschneidens, der wie bei der Taufe und der Mönchsweihe die Übereignung an den Herrn zum Ausdruck bringt. Diesem Haarschneiden vorgeschaltet ist sodann ein weiteres epikletisches Gebet, das seinen Grund darin findet, daß bei den Slawen der Lektor auch Funktionen des Akolythen wahrnimmt, während bei den Griechen aus praktischen Gründen Altar und Chor völlig getrennt sind. Bei allen Gebeten der Chirothesie fällt auf, daß die äußeren Dienste, mit denen der zu Weihende beauftragt wird, gesehen sind als Sinnbilder eines geistlichen, innerlichen Dienstes: das Lesen und Bedenken des Wortes Gottes, das Vorantragen des Lichtes Christi, das Stehen an den Türen des heiligen Tempels, das Entzünden der Leuchten in der Wohnung der Herrlichkeit des Herrn, all das sind Bilder für die Teilhabe an einem inwendigen Gottesdienst, zu dem die äußerlich Dienenden immer mehr heranwachsen sollen.
Mit der Chirotonie zum Diakon tritt der Neugeweihte ein in die Hierarchie, d. h. in den heiligen Anfang des priesterlichen Geschlechtes. Nach einer feierlichen Ankündigung des Beginnes der Weihe wird bei allen Stufen der Chirotonie zunächst ein dreimaliger Umgang um den Heiligen Tisch mit Großen Metanien, Küssen der „Altarhörner“ (d. h. Ecken des Heiligen Tisches) vollzogen. Es folgt das Weihegebet mit Handauflegung durch den versitzenden Bischof, dessen Einleitung bei allen Stufen der Hierarchie entsprechend lautet: „Die göttliche Gnade, die allezeit das Schwache heilt und das Mangelnde ersetzt, erhebt den Hypodiakon N. zum Diakon. Lasset uns nun für ihn beten, auf daß über ihn komme die Gnade des Allheiligen Geistes.“ Hier wird zum Ausdruck gebracht, daß nicht menschliches Wählen und Wollen die Vollmacht zum Amt gibt, sondern allein die Gnade des Heiligen Geistes. Unter Kyrie-eleison-Rufen von Klerus und Chor, der das Volk repräsentiert, spricht dann der Vorsitzende Bischof den jeder hierarchischen Stufe eigenen Weihetext. Dabei gedenkt er bei der Weihe des Diakons insbesondere des Protomartyrers und ur-1 christlichen Diakons Stephanos, bei der Priesterweihe der Bedeutung der Titel Presbyteros (Ältester) und Hiereus (Priester), bei der Bischofsweihe jedoch der frühchristlichen Ämter: Apostel, Prophet und Lehrer (vgl. l Kor 12,28), die das heutige Bischofsamt in sich schließt. Es folgt die Friedens-Ektenie mit für den Neugeweihten eingeschobenen Fürbitten. Während dieser Zeit spricht der Weihende ein Stillgebet, das wiederum für jede hierarchische Stufe ein anderes ist. Bei der Weihe ins Diakonat gedenkt er u. a. des Herrnwortes: „Wer da will unter euch der erste sein, sei euer Diener“ (Mk 11,43.44). Bei der Priesterweihe bittet er: „Du Selbst, o Herr, erfülle auch diesen Deinen Knecht… mit der Gabe des Heiligen Geistes, auf daß er untadelig vor Deinem Heiligen Tische stehe, zu verkünden das Evangelium Deines Reiches, priesterlich zu verwalten das Wort Deiner Wahrheit, Dir darzubringen Gaben und geistliche Opfer, zu erneuern Dein Volk durch das Bad der Wiedergeburt ...“ Bei der Bischofsweihe aber gibt er eine Begründung des Amtes und führt dessen Aufgaben auf: „Herr, unser Gott, der Du, weil die menschliche Natur das Wesen der Gottheit nicht zu ertragen vermag, durch Deine Anordnung Lehrer eingesetzt hast, die uns gleich Schwächen unterworfen sind, dass sie an Deinem Throne weilen und Dir darbringen Opfer und Gaben für all Dein Volk: Du Selbst, Christus, laß auch diesen Deinen Knecht… werden zu Deinem, des wahren Hirten, Nachahmer, der Du Dein Leben ließest für Deine Schafe. Mache diesen, Deinen Knecht, zum Führer der Blinden, zum Licht derer, die in der Finsternis sitzen, zum Erzieher der Unverständigen, zum Lehrer der Unmündigen, zur Leuchte in der Welt…“ Schließlich folgt die Einkleidung des Neugeweihten unter den Axios-Rufen (Würdig, würdig, würdig), die der Weihende anstimmt und Klerus und Volk (oder Chor) aufnehmen.
Dann beginnt der Neugeweihte seinen ersten Dienst.
Eine Besonderheit ist bei der Priesterweihe zu beachten: Nach der Konsekration der Gaben erhält der Neugeweihte das Teilchen XC vom heiligen Brot zur Aufbewahrung. Der Bischof überreicht es ihm mit den Worten: „Empfange dieses Pfand und bewahre es bis zur Zweiten Ankunft unseres Herrn Jesus Christus, denn von Ihm wird es zurückgefordert werden“. Bei der Brechung des Brotes gibt er es zurück und es wird auf den Diskos gelegt. Diese Symbolhandlung veranschaulicht die Verantwortlichkeit des Priesters für die treue Verwaltung der Mysterien Christi.
Bei der Bischofsweihe ist der eben beschriebenen Weihehandlung ein Ritus der Ernennung vorangestellt, so daß sich eine Trilogie ergibt: Wahl durch Klerus und Volk (wobei allerdings in der Vergangenheit bis in die jüngste Gegenwart hinein sehr oft der Staat die Rechte des Volkes usurpiert hat), Ernennung durch die vom Bischofskollegium bestimmten Konsekratoren, Weihe durch den zuständigen Metropoliten oder Erzbischof.
Die Ernennung hat ihren Kern in der Ankündigung der Weihe durch den Metropoliten und einem mindestens dreiteiligen Bekenntnis zur Orthodoxen Lehre des heiligen Evangeliums, zu den Sieben Oikumenischen Konzilien, den heiligen Kanones, der Apostolischen Tradition von Lehre und Leben der Kirche. Der zur Weihe Designierte hat von diesen Bekenntnissen eine eigenhändige Abschrift verfaßt, liest diese vor und überreicht sie anschließend den Konsekratoren. Diese Bekenntnisse variieren je nach Lokalkirche etwas in Umfang und Reihenfolge, begonnen wird jedoch überall mit dem nikänokonstantinopo-litanischen Glaubensbekenntnis, das in jeder Liturgie gesungen oder gesprochen wird. Der Kern des zweiten und dritten Bekenntnisses sind die Trinitätslehre und die Zwei-Naturen-Lehre, wie sie durch die Jahrhunderte in der orthodoxen Tradition präzisiert worden sind.
Es ist kein Zufall, daß innerhalb der Hierarchie einzig der Bischof bei seiner Amtsübernahme Bekenntnisse vorzulegen hat. Er ist der Verwalter der Mysterien, der Verkünder und Lehrer des Evangeliums und der seelsorgerliche Hirte des Volkes Gottes. Der Priester hat keine eigenständige Funktion neben ihm, sondern ist überall sein Stellvertreter und spricht und handelt in seinem Auftrag. Der Diakon hat keine Leitungs- und Lehrfunktionen; er dient vielmehr am Tisch des Herrn wie am Tisch der Armen; er leiht dem Volk seine Stimme, wenn er die Gebetsintentionen in den Ektenien spricht, und er leiht dem Bischof oder Priester seine Schultern und seine Arme, wenn er die heiligen Gaben trägt oder fächelt.
Zum Archidiakon (Erzdiakon) und zum Erzpriester (Proto-presbyter) schließlich wird man nicht geweiht, sondern durch ein Gebet während des Kleinen Einzuges erhoben, um „an der Spitze der Diakone (resp. Priester)“ des Volkes Gottes zu stehen, „zum guten Vorbild für alle, die mit ihm dienen“.
In allen Gebetstexten von Chirothesie und Chirotonie wird immer wieder auf die Vorbildlichkeit, die persönliche Integrität des Amtsträgers großes Gewicht gelegt, auf daß er „nicht den anderen predige und selbst verwerflich werde“ (l Kor 9,27). So heißt es etwa im Weihegebet zum Diakonat: „. . . Und würdige Deinen Knecht, das ihm durch Deine Güte verliehene Amt zu Deinem Wohlgefallen zu verwalten. Denn die gut dienen, bereiten sich selbst einen guten Stand. Am Tage des Gerichtes aber laß Deinen Knecht vollkommen erscheinen.“ Doch ist zu beachten, daß die Würde des Amtes keinen Vorrang vor den Laien in bezug auf persönliche Heiligkeit und Vollkommenheit bedeutet (Hebr 5,4). Der Priester ist durch sein Amt nicht auf einer höheren Stufe der Heiligung als der Laie. Darum darf niemand ein geistliches Amt begehren, um seiner eigenen Erbauung willen. Wer dies tut, wählt einen falschen Weg, auf dem er Gefahr läuft, zu scheitern. Er hat nichts begriffen vom Amt und der darin geforderten völligen Selbsthingabe und steht in Gefahr, zu vereinsamen, so wie viele, die das Amt zum eigenen weltlichen oder geistlichen Nutzen mißbraucht haben, vereinsamt und abgedorrt sind, wie Äste an einem Baum, die vom Lebenssaft abgeschnitten sind. Wer ein Amt begehrt, tut gut daran, sich zu prüfen, ob er zu aufopferndem Dienst bereit ist oder ob er nur den eigenen zeitlichen oder ewigen Gewinn sucht. Denn er bekommt das Amt nicht für sich selbst, sondern ausschließlich zum Dienst an der Kirche.